Schwere Geburt einer Bahnlinie

Eine Chronik der Nordbahn


Am 10. Juli 2002 wurde die Berliner Nordbahn und somit auch der Bahnhof Dannenwalde 125 Jahre alt. Aus diesem Anlass legte der Verein Umweltbahnhof Dannenwalde UBD e.V. eine Festschrift vor. Wir stellen aus einem Text von Roland Klautke folgende Informationen zusammen:

Der lange Weg zur Nordbahn (1844-1877)

Am 15. Februar 1844 legte der "Verein zur Erlangung einer Eisenbahn von Berlin über Neu-Strelitz nach Stralsund" eine erste Denkschrift mit dem Titel "Vorläufige Ansichten über eine Berlin - Stralsunder Eisenbahn" vor. Dass zu diesem quasi "interterritorialen" (zwischenstaatlichen) Eisenbahnprojekt  - Berlin und Stralsund lagen auf preußischem Gebiet und die direkte Bahntrasse sollte teilweise über Mecklenburg-Strelitz verlaufen - bereits frühere Überlegungen angestellt wurden, beweist die schnelle Reaktion des mecklenburgischen Großherzogs, der in Neustrelitz am 29.2.1844 schreiben lässt: "...dass wir dem Zustandekommen der fraglichen Eisenbahnverbindung keine Hindernisse in den Weg legen werden..." Der eigentliche Anlass für die Stralsunder Denkschrift und die großherzogliche Stellungnahme für die direkte Verbindung Berlins mit der Ostseeküste waren vor allem die gerade erst vorgenommene Eröffnung der Berlin-Stettiner Bahn im Jahre 1843, sowie die Interessen Berliner und Stralsunder Kaufleute und Bankiers.

Die immer wieder neuen Initiativen und Hindernisse beim Bau der "Berliner Nordbahn" - so der gängige Name seit Gründung einer Berliner Aktiengesellschaft im Jahre 1856 - waren für den Eisenbahnbau jener Zeit nicht unbedingt typisch, jedoch aber kennzeichnend. Zwar war der Bau von Eisenbahnen Mitte des 19.Jahrhunderts immer noch technologisches Neuland; oft genug gab es Schwierigkeiten mit der Trassierung, der Stabilität des Untergrundes oder bei Brückenbauwerken (so stürzte auch die Dannenwalder Brücke am Wentowsee erst einmal ein). Die Haupthindernisse für den schnellen Bau der Nordbahn bestanden jedoch im Geldmangel (wegen unsicherer Renditeerwartungen) und einer mehrfach wechselnden Interessenpolitik des preußischen Staates zwischen dem Privat- und dem Staatsbahnprinzip.

Industrielle, Bankiers und Kaufleute waren allemal am Bahnbau interessiert, wenn sie nur die für sich renditeträchtigsten Linien wählen konnten. Das preußische Großbürgertum - konservativ und agrarisch - war ebenso wie das Militär eher dem Staatsbahnprinzip zugeneigt.

Der Staat Preußen war zwar an neuen Eisenbahnen interessiert, wollte diese aber nicht selbst bauen oder finanzieren; Ausnahmen bildeten aus strategisch-militärischen Gründen die "vaterländischen Bahnen" wie die Ostbahn zur russischen oder die Bahn über Breslau zur österreichischen Grenze, die in unterschiedlichem Maße vorfinanziert wurden. Ohne ihr ökonomische Machtinstrumente zuzugestehen sollte die Bourgeoisie die Bahnen finanzieren, die man ggf. als Eigentümer übernahm.

33 Jahre dauerte es von den ersten öffentlichen Initiativen für eine direkte Bahnverbindung zwischen Berlin und Stralsund bis zu deren Fertigstellung im Jahre 1877 als "Berliner Nordbahn". Am 10. Juli 1877 wurde auf dem ersten und mit 133,8 km längsten Teilstück der Nordbahn zwischen (Berlin) Gesundbrunnen und Neubrandenburg über Oranienburg und Neustrelitz der reguläre Fahrbetrieb aufgenommen. Bereits wenige Monate später konnten die übrigen Abschnitte zwischen Neubrandenburg und Demmin (42,3 km) am 1.12.1877 und zwischen Demmin und Stralsund (46,6 km) übergeben werden.

Berücksichtigt man den langen 'Vorlauf' von 33 Jahren und die schnelle Betriebsübergabe der drei Streckenabschnitte innerhalb von nur knapp sechs Monaten, so kann das Jahr 1877 mit Recht als das erste Jahr der "Berliner Nordbahn" angesehen werden.

Die eigentümlichen Stationen der Nordbahn-Entstehung - Chronik

  • 1844 ruft der Stralsunder Verein nach seiner Februar-Denkschrift bereits im März für die Bahn Berlin-Stralsund zur „Actien-Zeichnung" auf.
  • 1844 erklärt Preußen nach internen Beratungen per „Kabinetsordre" im November, dass man sich u.a. wegen anderer Bahnbauten keine Hoffnungen auf eine Konzessionierung der Nordbahn machen solle.
  • 1853 genehmigt der preußische König die Nordbahn unter der Voraussetzung, dass sie über Neustrelitz führen müsse.
  • 1856 wird in Berlin eine Aktiengesellschaft gegründet, die jedoch trotz zweimaliger Verschiebung des Zeichnungstermins das benötigte Kapital nicht aufbringen kann; damit verfällt die Konzession.
  • 1865 wird dem „Ausschuss der vereinigten Berlin-Stralsunder Komitees" eine Konzession erteilt. Trotz der Zusicherung von Mecklenburg-Strelitz, auf Transitzölle zu verzichten, scheitert die Initiative an den Interessen der preußischen Industrie, als mit der Aktienzeichnung für die Bauausführung ein Londoner Unternehmen beteiligt werden soll.
  • 1866 sieht der Staatsvertrag zwischen Preußen und Mecklenburg-Strelitz in einer Absichtserklärung den Bau der Bahn in möglichst gerader Richtung über Neustrelitz nach Stralsund vor.
  • 1868 tritt ein neues Komitee unter Leitung des Grafen zu Eulenburg (Liebenwalde) zusammen, das trotz einer vertraglichen Übereinkunft mit dem bekannten Eisenbahnunternehmer Strousberg scheitert.
  • 1869 engagiert sich der rüganer Graf von Putbus im Komitee der Berliner Nordbahn und beabsichtigt eine künftige Erweiterung des Projektes durch den Bau einer Bahn nebst Hafenanlagen auf Rügen.
  • 1871/72 kann mit dem Bahnbau begonnen werden, da das Komitee das benötigte Kapital, wenn auch mühsam und verzögert, stellen kann.
  • 1873/74 gerät der Bau in technische und finanzielle Schwierigkeiten. Die Krise soll durch eine Zinsbürgschaft des preußischen Staates abgewendet werden, was das preußische Kabinett 1874 ablehnt.
  • 1875 übernimmt der preußische Staat als Eigentümer die Nordbahn.
  • Vom 10.7.1877 an werden die Teilstücke der Nordbahn eröffnet.

Argumente für die gewählte Trassenführung

Wenn man die Diskussion um den Bau der Nordbahn zwischen Berlin und Stralsund verfolgt, fühlt man sich fast in "moderne Zeiten" versetzt. Erhielt Dannenwalde durch den Zufall der Trassierung der Nordbahn, wegen seiner Lage an der preußisch-strelitzer Grenze und als Baustützpunkt schließlich seinen Bahnhof, so wurde für den Bau und um den Anschluss an die Bahntrasse mit allen Finessen heutiger Standortdebatten und -konkurrenzen gekämpft.

  • Bereits die Denkschrift von 1844 stützte sich auf umfangreiche Untersuchungen, die ökonomische, militärstrategische, verkehrspolitische und - man staune - touristische Argumentationen für die direkte Bahnverbindung zwischen Berlin und Stralsund begründen sollten.
  • Die geplante Bahn erschlösse eine Fläche von fast 300 preußischen Quadratmeilen (1 pr. Meile = 7,5325 km) mit einer Bevölkerung von (einschließlich Berlin) ca. 620.000 Personen; mit Berlin als Residenz- und Hauptstadt lägen 24 Städte zumindest dicht an der Bahntrasse, darunter für den Seeverkehr wichtige Hafenstädte und eine großherzogliche Residenz.
  • Die Bahnlinie durchquere ein Gebiet, das in Richtung der Trassenführung fast keine Kanäle und natürliche Wasserstraßen aufweise und für den Verkehr zwischen Berlin und Stralsund große Umwege oder Beschwernisse erforderlich mache; insbesondere der Fischreichtum der Ostsee könne für Berlin besser erschlossen werden.
  • Militärisch sei im Falle eines Krieges die direkte Verbindung Berlins (und der Spandauer Rüstungsindustrie) mit der Hafenfestung und dem wichtigen Depot Stralsund von Bedeutung.
  • Der internationale Reiseverkehr nach Dänemark (Kopenhagen) und Schweden (über Ystadt nach Stockholm) könne beschleunigt und erleichtert werden; und schließlich gibt die Insel Rügen der Bahn einen reizenden Endpunkt: "...das liebliche Eiland wird ein Seebad-Park für die Spaziergänger Berlins, in sechs Stunden erreichbar..."

Wie in der ersten Denkschrift wird mit unterschiedlicher Gewichtung, aber strukturell ähnlich in allen Veröffentlichungen und Aufrufen der Komitees argumentiert. Interessant ist, dass nicht nur wie in der ersten Denkschrift Anschlags-Berechnungen für unterschiedliche Frachtarten und Herkunftsorte vorgenommen, sondern später auch empirische Erhebungen angestellt werden.

Auch der Binnenverkehr an der Bahnlinie selbst wird später immer mehr berücksichtigt, was insbesondere für den späteren Bau von Stich-, Neben- und Kleinbahnen von Bedeutung ist. Hat in Nordbrandenburg die Anbindung der Ziegelbrennereien durchaus ihre ökonomische Berechtigung, so muten Überlegungen zum Kartoffeltransport zu deren Brennereien heute kurios an. Auf die Konkurrenz der einzelnen Städte um eine Bahnanbindung und die Beteiligung ihrer Vertreter beim Streit um Bahnhöfe und -trasse kann hier nur verwiesen werden: Wer zeichnet (Geld einsetzt) kann mit planen -frei nach Heydt.

Dannenwalde als Baustützpunkt und Grenzbahnhof

Obwohl der Dannenwalder Bahnhof am 10. Juli 1877 mit der Inbetriebnahme des ersten großen Abschnittes der Berliner Nordbahn eröffnet wurde, ist er nun wirklich nicht die bedeutendste Station unter den Bahnhöfen der Nordbahn. Mit Oranienburg als erstem wichtigen Halt nach (Berlin-) Gesundbrunnen, mit Neustrelitz als Residenz sowie späterem Abzweig und Ausgangspunkt der direkten Berliner Bahnverbindung nach Rostock, und mit Neubrandenburg als Verbindungsstation zur Friedrich-Franz-Bahn und ihrer Ost-West-Verbindung mit Lübeck und Stettin (bereits 1870) kann Dannenwalde nicht konkurrieren. Dennoch weist der kleine Bahnhof einige Besonderheiten auf: Niemand würde hier eine Station vermuten, wenn Dannenwalde nicht, ausgehend von Berlin, als erste Ortschaft auf mecklenburg-strelitzer Gebiet gelegen hätte. Durch diese Lage war der Ort bei der nun gewählten Trasse als wichtiger Stützpunkt für den Bahnbau prädestiniert.

So wird in einem Bericht an die Aktionäre im September 1873 mitgeteilt, dass sich das Baulos II von Reinickendorf bis Dannenwalde und das Baulos III von Dannenwalde bis Neubrandenburg erstreckt.

In ihrem Bericht vom Februar 1875 weist die "Direction der Berliner Nord-Eisenbahn-Gesellschaft" stolz darauf hin, dass die Bahnhöfe Oranienburg (Empfangsgebäude, Güterschuppen, Lokomotivschuppen, Wasserstation), Löwenberg (Wohnhaus für zwei Familien), Gransee (Empfangsgebäude mit Güterschuppen), Dannenwalde (Empfangsgebäude mit Güterschuppen), Altstrelitz (Empfangsgebäude mit Güterschuppen) und Neustrelitz (Wirtschaftsgebäude) bereits im Rohbau fertig und eingedacht sind. Man kann von einer weitgehend standardisierten Bahnarchitektur ausgehen, die wegen Um- und Ausbauten nur noch selten erkennbar ist.

Zur Förderung des Baus der Nordbahn hatte man zwar 1865 auf die Erhebung von Transitzöllen beim Bahntransport verzichtet; für den Straßenzoll galt dies bis zum Beitritt von Mecklenburg-Strelitz und -Schwerin zum Deutschen Zollverein (1867) jedoch nicht, was heute noch an den Zollhäusern in Dannenwalde und Seilershof erkennbar ist.

Die Bedeutung der strelitz-preußischen Grenze (sie bestand hier formal bis zur Neuordnung des Gebiets der ehemaligen DDR in Bezirke im Jahre 1952) wird bis heute durch zwei Denkmale unterstrichen: Der Leichnam von Königin Luise wurde 1810 beim Gedenkstein am Fischerwall nach Preußen überführt und in Gransee aufgebahrt. Angemerkt sei, dass das Gebiet um Fürstenberg und Dannenwalde bei der Wiedereinrichtung der Bundesländer 1950 für Brandenburg votierte und 2003 nach einer Einwohner-Abstimmung vom Amt Fürstenberg nach Gransee eingemeindet wurde. Erst seit dieser Zeit führt der Bahnhof den Namen „Dannenwalde (Gransee)“.

Ausgewählte Literatur, Archive, Quellen:

  • Stadtverwaltung Oranienburg - Stadtarchiv
  • Stadtverwaltung Gransee - Stadtarchiv
  • Stadtverwaltung Neustrelitz - Stadtarchiv
  • Karbe-Wagner-Archiv , Neustrelitz
  • Berlin und seine Eisenbahnen 1846 - 1896, Hrsg.: Königlich preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten (2 Bde.),
  • Berlin 1896; Neudruck: Verlag Ästhetik und Kommunikation, Berlin 1982
  • Bernd Kuhlmaun, Bahnknoten Berlin. Die Entwicklung des Berliner Eisenbahnnetzes seit 1838. Gesellschaft für Verkehrspolitik und Eisenbahnwesen Berlin (UVE) e.V., Berlin 2000
  • Werner Lexow, 120 Jahre Eisenbahn in Neubrandenburg, 1864-1984 Hrsg.: Märkisches Bezirksmuseum Neubrandenburg, o.J.
  • Martina Löw, Raumsoziologie, suhrkamp, Ffm. 2001

Beispiel: 125 Jahre Bahnhof Dannenwalde - Festveranstaltung

Seltene und vergnügliche Stunden im Takt der Zeit mit und durch den Umweltbahnhof Dannenwalde e.V..
10.00 Uhr Begrüßung durch das Oranienburger Blasorchester auf dem Bahnhof Oranienburg /Bahnsteig Stralsund, Herrn Christian Wend (UBD e.V.) und Herrn Bürgermeister Laesicke, mit Vertretern aus der Stadt und Region
10.10 Uhr Begrüßungssekt durch das Stadthotel Oranienburg
10.33 Uhr Abfahrt nach Dannenwalde
10.55 Uhr Ankunft in Dannenwalde, dem kleinen Naturparkeingangstor-Bahnhof für Touristen mit Lust auf Natur und Kultur in Seenlandschaft, mit Anschluss an den Fernradweg Berlin-Kopenhagen oder dem Europäischen Fernwanderweg E10 Rügen/Bozen
11.05 Uhr Podiumsgespräch auf der Frachtrampe:
Kultiviertes Reisen und umweltfreundliche Erschließung von Natur und Landschaft in Brandenburg - ohne Bahnhöfe? Moderiert von Klaus Hänel (UBD e.V.) mit

  • Herrn Rüdiger Ungewiß (Bürgermeister),
  • Herrn Roland Klautke (UBD e. V.) zur Geschichte der Nordbahn (Berlin),
  • Herrn Neumüll (Dannenwalde) zur ehemaligen dörflichen Bedeutung des Bahnhofs,
  • Herrn Chris Rappaport (Architekt) zur Dorferneuerung und Ausstellung,
  • Herrn Raimund Jennert, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Land Brandenburg e.V. zur touristischen Bedeutung des Bahnhofs, einem Vertreter der DB zur Rolle der kleinen Bahnhöfe im Netz (angefragt) und
  • Herrn Herzog-Schlagk (UBD e.V.) zur Rettung und Entwicklung des Umweltbahnhofs.

11.45 Uhr Spaziergang mit Herrn Bürgermeister Ungewiß zum Kleinen Wentowsee
12.00 Uhr Eröffnung der ersten Brandenburger Strandtafel durch Sponsor Herrn Rainer Heilen, Direktor des Stadthotels Oranienburg unter Hinweis auf die touristische Bedeutung durch

  • Herrn Krause, Geschäftsführer des Reisegebietes Ruppiner Land,
  • Tafelmusik von den "Spandauer Schilfrohrbläsern"

12.30 Uhr Offizielles Ende - jedoch Verweilen erwünscht
12.51 Uhr nächster Zug nach Oranienburg

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© Umweltbahnhof Dannenwalde UBD e.V.
Stand: April 2021